Völlig fertig – aber wir rollen der Heimat entgegen!

Nun mussten wir nur noch Fahrkarten kaufen und ab gings. WAAAAS? 640 Franc? Sch***e!
Wo ist der nächste Geldautomat – wann kommt der Zug? In fünfzehn Minuten. Oooaaah, neee! Portemonnaie genommen, losgerannt. Straße runter. In der Nähe eines Bahnhofs muss doch ein Geldautomat sein. Wieder Sch****hitze, wieder schwitzen, wieder Fliegen. Verdammt. Eine Frau steigt aus einem Auto. „Excusez moi, ou est le prochaine banque?“ Nachdem sie mich ausgiebig verbessert hatte, kam ein Wortschwall – kein Wort verstanden. Drei Minuten waren schon um. „Merci!“ Bloß weg, je weiter ich renne desto größer sind meinen Chancen. Ich renn‘ noch
4 Minuten, sonst fahren wir schwarz. Ich renne. Noch zwei Minuten. Da! Eine Post. Wo Post, da Automat. Und richtig. Ich triefe aufs Display und schiebe mit zittrigen Fingern die Karte in den Schlitz. Nummer getippt. Betrag eingegeben. Es geht. JA! Kohle her. Zurück. Ich schwitze und renne und schrei Sch***e. Ich komm zwei Minuten vor Abfahrt zurück. Meine Freundin strahlt eine leichte Nervosität aus.

Wir brauchen zwei Karten für denundden Zug nach Bielefeld, „Allemagne“. „Biranfourt?“ „Nein B-I-E-L-E-F-E-L-D” Hin, her - hin her. Der Kerl versteht nicht. Noch eine Minute. Kuli her, ich schreib’s dir auf. Endlich hatte er’s. Noch dreißig Sekunden. Er faselte noch irgendwas von Paris, Platzkarten reservieren und anderes wirres Zeug. Jaja, ja, sicher gib die Karten her, du Spacke. Endlich hatten wir sie. Gepäck hoch. Zug fährt ein. Tür auf, reinsetzen. Los geht’s. Richtung Heimat. Wir konnten es kaum fassen. Nachdem wir uns fast schon damit abgefunden hatten, für den Rest unsreres erbämlichen Lebens in Frankreich zu bleiben, ging es endlich los. Schon heute nacht sollten wir in Bielefeld ankommen!

Wir fuhren zwei Stationen, dann stiegen wir um in den Zug nach Paris. Das, was der Monsieur hinter dem Schalter unbedingt noch loswerden wollte, stand auch haarklein auf der Karte: wann wir wo, warum und mit wem und wieviel Melonen umsteigen müssen.

Wir fuhren. Das Geruckel des Zuges und die zwansgsweise Ruhepause beruhigten uns. Wir waren total fertig mitte Welt, aber inzwischen ein bißchen glücklich. Zuckel, zuckel, zuckel – tuuuut, tuuuut! So ging es stundenlang. Irgendwann tauchten die Vororte von Paris auf und dann waren wir da. Paris, die größte Stadt des Universums. Kultur, Savoir vivre und im Bahnhof ein Geruch von Pisse.

Wir mussten vom Gare de Lyon mit dem RER, einer Art Metro, quer durch die Stadt zum Gare du Nord. Am Gare de Lyon wurde gerade umgebaut, so dass wir arge Problem hatten, die RER-Station zu finden. Nachdem wir mit unserem Gepäck ein paarmal um den Bahnhofsvorplatz gelaufen waren, fanden wir die richtige Station. Fahrkarten. Nirgendwo ein Schalter, nur blanke Metallkästen an einer Wand. In der Nähe der Kästen lümmelten sich auffallend viele Clochards herum. Ich schaute auf das in den Metallkasten eingebaute Display
und verstand – nichts. Ich hoffte, dass das Menü logisch aufgebaut
wäre – Fehlanzeige. Ich hätte nach England fahren, oder eine Monatskarte für den Bus, aber nie und nimmer eine Fahrkarte zum
Gare du Nord kaufen können. Nachdem wir vereint auf das Display geschaut – mit beiden Füßen immer feste das Gepäck umklammert – sinnlos wütend herumgetippt und diverse Flüche ausgestoßen hatten, kam ein Clochard langsam angedackelt, begrüßte uns freundlich und fragte, wo wir hinwollten. Wir nannten unser Ziel. Er tippte mit behenden Fingern auf dem Menü herum, klickte sich flink durch diverse Untermenüs und präsentierte uns Verblüfften zum guten Schluss zwei druckfrische Fahrkarten in der einen Hand. Die andere streckte er uns zwecks Entlohnung entgegen. Bereitwillig gab ich ihm fünf Franc.
Wenn man das technische Know-How bedenkt, dass dieser nette Herr sich angeeignet hatte, eigentlich viel zuwenig. Der Mann war schließlich IT-Experte!

Ohne Ausnahme jeder, der vor diesen Metallkästen stand, fing nach kurzer Zeit das Fluchen an. Das war das Signal für die Clochardeingreiftruppen, die unauffällig im Hintergrund gewartet hatten, zuzuschlagen. Und so ward jedem geholfen und sie lebten glücklich … weiter.

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